Cultural models of narrative identity : the case of military autobiographical writing
- Kulturelle Modelle narrativer Identität : Der Fall autobiografischen militärischen Schreibens
de Muijnck, Deborah Aline; Strasen, Sven-Knut (Thesis advisor); Schneider, Ralf (Thesis advisor)
Aachen : RWTH Aachen University (2022)
Doktorarbeit
Dissertation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 2022
Kurzfassung
Die Dissertation wird von der Forschungsfrage geleitet wie Autor-Erzähler durch nicht-fiktionale, autobiographische Narration trotz der Erfahrung eines potentiellen Traumas eine stabile narrative Identität (wieder-)herstellen. Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine qualitative Studie durchgeführt, in der ich dreißig zeitgenössische Autobiografien und Memoiren von cis-männlichen britischen Soldaten und Veteranen analysiere, die zwischen 1994 und 2019 veröffentlicht wurden. Die psychische Gesundheit der britischen Streitkräfte ist ein Thema, das von Fachleuten des Gesundheitswesens, Politikern und den Medien regelmäßig thematisiert wird. Während die jüngsten Einsätze in Afghanistan und im Irak für diese Debatte relevant sind, unterstreicht der Krieg in der Ukraine im Jahr 2022 zudem, dass die Gesellschaft Wege finden muss, um denjenigen, die von einem Trauma geprägt sind, Heilung zu ermöglichen. Dabei müssen auch die Geisteswissenschaften Wege finden, um Forschungsfragen und -verfahren an neue Phänomene anzupassen, die sich aus solchen gewaltsamen Konflikten ergeben. In dieser Studie vertrete ich die Auffassung, dass die traumatisierenden Erfahrungen des Krieges das Gefühl der Stabilität des Einzelnen in Frage stellen können, wenn er aktiv Gewalt ausüben und/oder passiv extreme Formen von Gewalt anordnen und/oder miterleben muss. Im Laufe dieser Studie habe ich festgestellt, dass Trauma durch eine Vielzahl von Erzählmustern, -methoden und -ansätzen narrativ integriert, ignoriert oder in eine positiv herausfordernde Erfahrung verwandelt werden kann.Diese Studie ist in der kognitiven Narratologie verwurzelt, obwohl ich ausgewählte Forschungsergebnisse aus den Bereichen der kognitiven Anthropologie, Erzählpsychologie und Neurologie integriere. Aufgrund des offenen Charakters der Forschungsfrage habe ich eine Methodologie entwickelt, die gemischte Methoden, bestehend aus Grounded Theory, hermeneutischer Textanalyse und komparativer Analyse, anwendet, da diese es den Forschern ermöglichen, Theorien über die (Re-)Konstruktion von narrativer Identität zu entwickeln, die auf der offenen Untersuchung von Erzähltexten basieren. Als Ergebnis dieser Methode habe ich das Konzept der kulturellen Modelle der narrativen Identität (CUMONIs) identifiziert, das als wichtigstes Ergebnis dieser Arbeit angesehen wird. Auf der Grundlage der CUMONIs stelle ich die Hypothese auf, dass britische Militärautoren a) ihre Autobiografie oder ihre Memoiren nach kulturellen Modellen narrativer Identität strukturieren, die aus kulturell konventionalisierten narrativen Skripten und aus Skripten der Identitätsentwicklung bestehen. Diese kulturellen Modelle der narrativen Identität bestätigen die Zugehörigkeit des Autors bzw. Erzählers zur Kultur des britischen Militärs, ermöglichen es ihm jedoch, sich im Rahmen der kulturell akzeptierten Normen als einzigartiges Individuum zu etablieren, indem er seine einzigartigen Erfahrungen, Charakterzüge und Verhaltensweisen in diese Skripte integriert. Des Weiteren stelle ich die Hypothese auf, dass b) Personen, die sich selbst aktiv und bewusst als traumatisiert bezeichnen, die Realisierung und Verbalisierung des Traumas als Katalysator nutzen, um eine individuelle Autobiografie zu erstellen, die typischerweise von den normativen kulturellen Modellen der narrativen Identität abweicht, die von nicht traumatisierten Soldaten und Veteranen angewandt werden. Während diese Studie die Hypothese a) bestätigen konnte, war die Hypothese b) nur teilweise richtig. Obwohl traumatisierte Personen ihr individuelles Trauma als einen Faktor bezeichnen, der Wachstum und Abweichung von den etablierten CUMONIs des britischen Militärs auslöst, konnte ich ein besonders trauma-zentriertes kulturelles Modell der narrativen Identität identifizieren. Obwohl es auf bereits etablierten CUMONIs aufbaut und die Abweichung von diesen durch die traumatische Erfahrung ausgelöst wird, unterstreicht seine Existenz, dass es auch trauma-zentrische Skripte gibt, die autobiographische Erzählprozesse prägen. Neben den CUMONIs habe ich eine Vielzahl von narrativen Ansätzen idenitifiziert, anhand derer Trauma in die eigene autobiografische Geschichte integriert wird. Darüber hinaus wurde der Fokus auf narrative Techniken der Neutralisierung gelegt, von denen ich mehrere zusätzliche Techniken neben den bereits in der narrativen Kriminologie und Soziologie etablierten identifizieren konnte. Schließlich habe ich die Auswirkungen der ideologisch und politisch aufgeladenen Wir- und Sie-Erzählung für britische Militärautor-Erzähler untersucht. Es wurden auch Parallelen zur literarischen Gattung des Bildungsromans und zu unterschiedlichen Konzeptualisierungen des (literarischen) Helden gefunden. Während Personen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, in der Regel ermutigt werden, ihr Trauma in einer verbalen Therapie offen mitzuteilen, es in ihre Lebensgeschichte zu integrieren, einen Sinn darin zu finden und schließlich durch seine Verbalisierung Heilung zu finden, hat diese Studie herausgefunden, dass eine Vielzahl von Erzählmechanismen und kulturellen Modellen nicht durch offene, transparente Kommunikation ausgeführt werden. Stattdessen funktionieren viele von ihnen mit dem Ziel, das Trauma zu ignorieren, seinen Einfluss auf die emotionale Gesundheit zu verharmlosen und es als positiv aufregendes Kampfabenteuer darzustellen. Personen, die nicht bereit sind, ihren Zustand der Traumatisierung zu akzeptieren, könnten die Anwendung von CUMONIs und von Erzähltechniken anstreben, die sie bei der (Re-)Konstruktion einer narrativen Identität unterstützen, die einen Kriegshelden darstellt, der seine Last stoisch trägt. Ebenso unterstützt jedoch eine Vielzahl von kulturellen Modellen und Erzähltechniken autobiografische Erzählende dabei, ihr Trauma auszudrücken und in ihren Erfahrungen Sinn und Heilung zu finden. Diese Muster und Methoden können angewandt werden, um traumatische Ereignisse in die Lebenserzählung einzubeziehen und sie als bedeutungsvolle Wendepunkte darzustellen, die kausal mit Wachstum und zunehmender Stärke in der Persönlichkeitsentwicklung verbunden sind. Beide Strategien zielen letzten Endes darauf ab, das Individuum als jemanden darzustellen, der ein subjektiv gutes Leben geführt hat.
Identifikationsnummern
- DOI: 10.18154/RWTH-2022-09087
- RWTH PUBLICATIONS: RWTH-2022-09087