Kognitive Literaturwissenschaft

 

Vorlesungsreihe im Sommersemester 2014

Text: Prof. Dr. Ralf Schneider, Bielefeld (aus dem Programmheft, mit Dank )

Bezeichnungen wie ‚kognitiv’ oder ‚neuro- ’ sind seit einigen Jahren in den Wissenschaften und im populärwissenschaftlichen Bereich häufi g anzutreffende Label für Forschungsaktivitäten, die versprechen, menschliches Denken, Sein und Handeln auf Grundlage von Erkenntnissen über die Funktionsweisen des Geistes oder die biologischen Strukturen und Mechanismen des Gehirns zu erklären. Seit dem cognitive turn, der seit den 1970er Jahren viele Wissenschaftszweige erfasst hat, sind auch in der Literaturwissenschaft zahlreiche Theorieansätze, Modelle und Methoden entwickelt worden, die das Verhältnis zwischen dem menschlichen Geist und der Produktion und Rezeption von Literatur erforschen. Allerdings gibt es ‚die’ kognitive Literaturwissenschaft nicht. Vielmehr sind, gestützt auf Erkenntnisse so unterschiedlicher Disziplinen wie Kognitionspsychologie, kognitive Linguistik, Philosophie, Neurobiologie und Evolutionsforschung recht unterschiedliche kognitiv-literaturwissenschaftliche Theorien, Modelle und Methoden entstanden. Die heutige kognitive Literaturwissenschaft reicht daher von der kognitiven Metaphern- und Gattungstheorie über neue stilistische Ansätze und solche, die auf kognitionspsychologische Modelle der Informationsverarbeitung zurückgreifen (cognitive stylistics, cognitive poetics) bis hin zu jüngsten Versuchen, neurophysiologische Erkenntnisse für literaturwissenschaftliche Fragestellungen fruchtbar zu machen. Daneben ist die Frage behandelt worden, inwiefern die Fähigkeit des menschlichen Geistes, Literatur herzustellen und zu verstehen, eine evolutionäre Errungenschaft ist. In diesem weiten und vielgestaltigen Feld der kognitiven Literaturwissenschaft(en) will die Reihe eine Orientierung anbieten.